Alexander Ruhe: 1918 - Die Spanische Grippe in Frankfurt. Januar 2018

Ein Artikel aus der Reihe: Frankfurter Zeitungs-Archäologie

Vor hundert Jahren traf die mit 50 Millionen Toten tödlichste Seuche, die die Menschheit bis heute erleben musste, auch Frankfurt. Bedingt durch die strenge Zensur und durch das Ende des ersten Weltkrieges, der zwar die Zensur aufhob, dafür aber andere Themen in die Schlagzeilen drängte, ist nicht viel über die Grippe und ihre Auswirkungen auf Frankfurt in den Zeitungen gelandet. Ich gehe aber nach Durchsicht des Frankfurter Sterberegisters (Todesursache "Grippe" + 2/3 der Todesursache "Lungenentzündung") alleine für Frankfurt von 1500 Grippetoten und zehntausenden von Kranken aus. Auf dem Hauptfriedhof wurde damals rings um die Christusdornallee  ein Gräberfeld angelegt, auf dem man auch heute noch viele junge Tote von 1918 finden kann. Denn anders als bei früheren Grippeepedemien, starben 1918 vor allem Kranke zwischen 18 und 40 Jahren - die vielen männlichen Frankfurter dieser Altersgruppe, die zu dieser Zeit in den Schützengräben starben, sind meist nicht als Grippetote, sondern einfach als Gefallene registriert worden. Der Grippetod in Frankfurt war also eher ein weibliches Schicksal. "Auf den Schlachtfeldern stirbt die männliche Jugend fürs Vaterland, daheim reißt die Seuche die kommenden Mütter ins Grab." schrieb eine Frankfurter Zeitung.

Eine erste schwere Grippewelle traf Frankfurt im Sommer 1918, schwer aber nur im Vergleich zu dem, was man bis dahin kannte, nicht im Vergleich zu dem, was Frankfurt dann im Herbst des selben Jahres erlebte. Im Oktober traten die ersten Grippefälle dann in Niederrad auf und überzogen im Nu die ganze Stadt und eben noch Gesunde waren plötzlich schwer krank. Es liefen bei den Krankenkassen soviele Krankmeldungen ein, dass das Bargeld nicht mehr ausreichte und die Stadt Frankfurt ein spezielles Grippe-Notgeld drucken lassen musste, um das Krankengeld auszahlen zu können.

  

von 7 Grippetoten am Tag schnellten die Zahlen sehr schnell auf über 20 Tote hoch und das nur in den offiziellen Zahlen, keinesfalls durfte eine Panik aufkommen, man tuschelte schon, die Lungenpest sei ausgebrochen.

Nachhaltig wurde durch die vielen Krankmeldungen der Telegrafenverkehr zur Front gestört und ein wesentlicher Telegrafenstrang zur Front lief über Frankfurt. Auch das Eisenbahnwesen brach mit 45000 kranken Eisenbahnern, alleine in Preußen, fast zusammen. Der zivile Eisenbahnverkehr wurde massiv zusammengestrichen, was die hungernden Frankfurter, die auf Hamsterfahrten ins Umland angewiesen waren, ganz besonders hart traf. Auch der - sowieso schon stark reduzierte - Straßenbahnverkehr wurde weiter eingeschränkt und die Straßenbahn war - neben zu Fuß gehen - das einzig verbliebene Verkehrmittel in der Stadt, Doschken und Taxis gab es so gut wie keine mehr. Aber immerhin war angeordnet worden, die Straßenbahnen an den Endstellen besonders gut zu lüften.

Als besonderer Verbreitungsweg der Grippe galt die Straßenbahn Linie 15 – zum städtischen Krankenhaus. Da der Krankenwagenverkehr ebenfalls stark eingeschränkt und nur für besonders schwere Fälle reserviert war, fuhren die Grippe-Kranken mit der Straßenbahn ins Krankenhaus. Natürlich erkrankte auch das Pflegepersonal der Krankenhäuser massenhaft an der Grippe, weshalb in der Zeitung dazu aufgerufen wurde, sich freiwillig zum Krankenpflegedienst im städtischen Krankenhaus zu melden.

Das Frankfurter Gerichtswesen wurde von der Grippe fast vollständig lahmgelegt, da entweder der Richter, der Staatsanwalt oder der Angeklagte krank waren. Anders als in anderen Städten aber, blieben in Frankfurt Theater, Kinos und Konzertsäle weiterhin geöffnet. Da kannten die Frankfurter ihren Goethe wohl nicht mehr, denn dieser hatte doch gewarnt:

wenn durch das Volk die grimmige Seuche wütet,

soll man vorsichtig die Gesellschaft lassen,

auch ich hab' oft mit Zaudern und Verpassen

vor manchen Influenzen mit gehütet.

Diese Goethe-Verse aus der Nemesis von 1808, veröffentlichte 1918 eine Frankfurter Zeitung erneut, aber umsonst, die Theater blieben offen.

Auch die Revolution und ihre Volksversammlungen halfen wohl, die Grippe zu verbreiten. So hielt z.B. die Frankfurter Revolutionärin Tony Sender, obwohl fiebernd und grippekrank - im Sitzen - Reden vor großen Menschenmengen, wie man in ihrer Autobiografie lesen kann.

Bedingt durch den grippebedingten Ausfall von zehntausenden von Bergarbeitern im Ruhrgebiet, die auch noch lange nach ihrer Genesung keine körperlich schwere Arbeit leisten konnten, brach die deutsche Kohleförderung ein und das sowieso an Kohlen knappe Frankfurt, ging einem noch kälteren Winter entgegen, als schon in den Jahren zuvor. Um wenigstens die Krankenstuben beheizen zu können wurden in Sossenheim kleine Mengen des sonst kaum noch erhältlichen Petroleums an die Angehörigen ausgegeben.

Ebenso hart traf Frankfurt die grippebedingte Verlängerung der Herbstferien um vier Wochen. Mögen die Schüler das vielleicht noch als ganz lustig angesehen haben, dass sie nicht zur Schule mussten, so kamen sie doch um ihre bitter notwendige Schulspeisung. Das Frankfurt hungerte, hatte aber auch seine gute Seite, die Spanische Grippe wendete nämlich das eigene Immunsystem des Kranken gegen ihn und um das Immunsystem der hungernden Deutschen war es nicht zum Besten bestellt, so dass Deutschland unter der Grippe weniger zu leiden hatte, als die hervorragend versorgten USA oder auch als Großbritannien. Grippebedingt waren auch viele Kartoffeln im September/Oktober im Boden geblieben und als Anfang November dann auch noch die Kriegsgefangenen nach Hause gingen, waren viele Kartoffeln gar nicht mehr geerntet worden und verdarben dann beim ersten Frost.

Aber die leidenden  Frankfurter wurden nicht alleine gelassen. Von Ärzten wurde empfohlen Kalkprodukte zu sich zu nehmen und gleich wurde nachgekartet, man möge doch Produkte der Sodentaler Quelle kaufen, die hatte nämlich 1917 die Stadt Frankfurt erworben. Außerdem konnte man sich auch gegen die Grippe versichern lassen - es war also garnicht so schlimm.

 

 

Prominente Frankfurter Opfer der Spanischen Grippe waren der Fechter Heinrich Ziegler der 27jährig starb. Der Dichter, Literaturwissenschaftler und, zuletzt, Dramaturg an den städtischen Bühnen Georg Plotke, der, dreißigjährig, noch im Januar 1919 der Grippe erlag und mit der roten Fahne voran zu Grabe getragen wurde. Plotke hatte während des Krieges als einer von wenigen Theater-Dramaturgen Deutschlands den Mut besessen pazifistische Stücke zur Uraufführung zu bringen.

 Der Schuhfabrikant Ludwig Adler erlag mit 32 Jahren der Grippe. Dessen Nachfolger wurden dann die Hauptsponsoren der Frankfurter Eintracht, weshalb aus der dann die "Schlappekicker" wurden.

 

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