Alexander Ruhe:  1872 - 2022. 150 Jahre metrisches System in Frankfurt. Dezember 2022

Ein Artikel aus der Reihe: Frankfurter Zeitungs-Archäologie

Auch vor über 150 Jahren wurde in der Messestadt Frankfurt schon gemessen und gewogen. Allerdings hielt man sich zuvor nicht nur an ein Maß, das fast auf der ganzen Welt gilt, sondern jede Gegend, jede Stadt maß nach ihren eigenen Maßeinheiten. Und, um es noch komplizierter zu machen, nicht nur jede Stadt besaß ihr eigenes Maß, jedes Handwerk auch. Zimmerleute maßen also anders als die Steinmetze und die anders als die Schneider. Und um es noch komplizierter zu machen; die Schneider und die Tuchhändler, die aus aller Welt auf die Frankfurter Messe kamen, durften nicht ihr heimisches Maß zum Handel in Frankfurt benutzen, sie mussten an das Leinwandhaus kommen und sich an einem der drei Metallstäbe, die dort in die Wand eingelassen waren, die Frankfurter Tuch-Elle abmessen, dumm nur, dass alle drei Stäbe ein unterschiedliches Maß anzeigten, da sich die Mauer gesetzt hatte und die drei Stäbe leicht verbogen waren.

Das Schuh-Maß (zwei Schuh = eine Elle) konnten sich die Bauhandwerke an der Stadtmauer, in der Nähe des Sachsenhäuser Affentores nehmen, dort waren Metallpunkte in die Wand eingelassen, an denen man sich die Maße der Frankfurter Wald- und der der Feldrute nehmen konnte. Die Waldrute teilte sich in 16 Schuh, die Feldrute in 12,5, der Schuh wurde geteilt in 12 Zoll (einen Daumen breit) und das Zoll in 12 Linien. Da aber auch diese Wand sich gesetzt hatte, stimmte das auch hier vorne und hinten nicht. 1778 griff der Rat der Stadt Frankfurt nun durch; alles wurde vereinheitlicht und am Römer wurde ein allgemeinverbindliches Schuhmaß von 28,5cm angebracht. Gleichzeitig galt aber auch noch die Tuchelle am Leinwandhaus von 54,7cm, bei zwei Schuh = eine Elle hätte die Elle aber 57cm betragen müssen, es fehlte ein Zoll - es blieb also uneinheitlich!

Zumindest die Tuchhändler hatten aber auch ein überregionales Maß, auf das sie zurückgreifen konnten - die Brabanter Elle. In Brabant gab es viele Webereien und viele Stoffe wurden auch über Brüssel gehandelt. In Brüssel maß die Brabanter Elle - wo sie aber schon seit 1799/1820 vom Meter abgelöst worden war - 69,5 cm, die Brabanter Elle wurde aber in Frankfurt mit 69,9 Zentimetern gemessen, in Kassel mit 69,4 cm und in Leipzig mit 68,6 cm.. Dies waren zwar nur recht kleine, auf ganze Stoffballen gerechnet aber dann doch ganz ordentliche Unterschiede.

Grundsätzlich gerechnet wurde nicht in Zehner- sondern in Zwölfer-Schritten. Nicht 10-100-1000, wie heute, sonder 3 (ein Viertel von 12), 4 (ein Drittel), 6 (die Hälfte), 12, 18, 24,30 (2,5x12), 36, 48, 60, 90, 96 , 120 und 144.

Gewogen wurde traditionell mit dem Pfund. Das Pfund Speck allerdings war schwerer als das Pfund Fleisch, war ja auch gehaltvoller - klar, das Pfund Brot war noch leichter, dafür das Pfund Silber so schwer wie das des Brotes und das auch noch in jeder Stadt unterschiedlich. Wenigstens das hatte man 1854 im Zollvereinspfund auf ein Gewicht von 500 Gramm vereinheitlicht. Da das Gramm aber ein Maß der Franzosen war, tat man sich damit in Deutschland noch schwer, aus Frankreich konnte/durfte nichts Gutes kommen.

Getränke wurden im Maß abgemessen und hinter dem Frankfurter Maß kann das bayerische Maß sich verstecken, das Frankfurter Maß hielt bis 1803 nämlich 1,8 Liter (der heutige Sechser-Bembel), ab 1803, nach Krawallen über die Einführung der Getränkesteuer und der Gründung eines Wirteverbandes, nur noch 1,6 Liter im Neuen Maß. Diese Krawalle habe ich schon auf meiner Hörbuch-CD "Frankfurter Geschichten" von 2009 behandelt. Das Maß unterteilte sich in vier Schoppen.

Außerdem gab es noch ein Dutzend weitere Maßeinheiten, zum Beispiel für Schüttgute wie Getreide, Kartoffel und Kohlen, für Butter, für Brennholz, für Wachs und und und.

1871 hatte das neu gegründete Deutsche Reich die französischen Provinzen Lothringen und das Elsaß annektiert, Gebiete, die schon seit langem das metrische System verwandten. Da auch viele Nachbarländer Deutschlands schon mit Meter-Liter und Kilo maßen, fiel es auch in Deutschland leichter zum 01.Januar 1872 verbindlich das metrische System einzuführen.

Ganz so einfach fiel den Frankfurtern der Übergang nicht. Besonders der Wechsel vom Duodezimal- (12) zum Dezimalsystem machte das Ganze auch nicht einfacher, tauchten doch jetzt viel mehr Kommazahlen im Leben auf. Die Milchhändler nutzen das neue Maß um auch sogleich die Preise zu erhöhen, was sogar die wirtschaftsliberale Frankfurter Zeitung verleitete zu einem Milchboykott aufzurufen, man solle halt Kondensmilch trinken, die wäre ja auch gut. Die Feuerholzhändler, und Feuerholz war neben der erst aufkommenden Steinkohle noch ein wesentliches Brennmaterial für Frankfurts Öfen, die Feuerholzhändler also hatten die Scheite im Vorjahr noch nach Frankfurter Steckenmaß geschnitten und konnten damit keine Kubikmeter abmessen. Wenigstens aber das Pfund und der Zentner (100 Pfund = 50kg) blieben ja die Gleichen, mit dem man schon seit bald zwanzig Jahren maß; erst 1936 wurden Deutschlands Händler gezwungen, ihre Preise nicht mehr für das Pfund, sondern für das Kilo anzugeben.

Eine ganz so lange Übergangszeit hatte man Frankfurts Wirten nicht gelassen, diese hatten ein Jahr bekommen, um vom Schoppen auf das Litermaß umzustellen. Einige Wirte hatten versucht in dieser Übergangszeit vorsorglich kleinere Gläser einzuführen, das war aber bei den Frankfurtern nicht gut angekommen, zudem hatte die Regierung festgelegt, das Getränke in Viertel- , halben oder ganzen Litern ausgeschenkt werden müssten. Zusätzlich erschwerend kam noch dazu, dass man nicht nur das Rechensystem und die Maßeinheiten änderte, sondern die Währung gleich noch dazu. Da war der Übergang allerdings länger. Die Währung war schon 1871 auf die dezimale Mark umgestellt worden, aber erst im Sommer 1872 bekamen die ersten Frankfurter Beamten ihr Gehalt auch mit goldenen 10 und 20 Markstücken ausgezahlt, andere Münzen der Markwährung gab es noch gar nicht und solche Goldmünzen bekam man im Alltag auch nicht allzu oft zu sehen, für ein solches 20-Markstück muss man heute (Dezember 2022) knapp 400,-Euro bezahlen, wobei man 1872 für 20 Mark viel länger arbeiten musste, als wir heute für 400 Euro, die Löhne waren damals niedriger. Das mitteleuropäische Währungssystem, das 1872 noch galt, hatte Karl der Große schon 794 in Frankfurt festgelegt und in Frankfurt teilte sich der Gulden in 60 Kreuzer und der Kreuzer in 4 Heller, also 240 Heller waren ein Gulden. Um jetzt aber neue Münzen prägen zu können, hatte man immer mehr alte Münzen aus dem Umlauf gezogen, um deren Metall wiederverwenden zu können. Diese Münzverknappung, die Umstellung des Maßes und dazu noch eine Wirtschaftskrise, die von einer Mißernte begleitet wurde, sorgte 1873 in Frankfurt für einen Aufstand, den Batzenbierkrawall (vier Kreuzer= ein Batzen).

"Schuh-Maas über dem 0-Punkt Rheinische Frankfurter" und Meter

 

 

 

 

Hörbuch vom gleichen Autor

 

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