Alexander Ruhe: Der Frankfurter Friedhofs-Krawall von 1885. Januar 2010

Ein Artikel aus der Reihe: Frankfurter Zeitungs-Archäologie

Der Frankfurter Vorsitzende des sozialdemokratischen Wahlvereins  und Parteilokal-Wirt Hugo Hiller war in noch jungen Jahren im Bürgerstift an der Schwindsucht gestorben und wurde am 22.Juli 1885 (nicht 1883 wie man fälschlich oft lesen kann) auf dem Hauptfriedhof beerdigt. 300-400 Menschen (die sozialdemokratische Presse schrieb von 1000)  gaben ihm vom Krankenhaus aus das letzte Geleit. Der Trauerzug ging über den Oederweg zum Friedhof, am Oederweg gesellten sich Polizisten zum Zug.

 

43 Polizisten (38 zu Fuß im und 5 zu Pferde vor dem Friedhof) unter Polizeikommissar Meyer  sollten für die Einhaltung des Sozialistengesetzes sorgen – d.h. keine Fahnen, keine Reden usw., weitere 10 Polizisten lagen auf dem Hof des Stadtkommandanten in der Hochstraße in Reserve. (Polizeirat v. Hake war nur in Zivil anwesend. Hake war als Ersatz für den einige Monate zuvor ermordeten Rumpff aus Berlin nach Frankfurt gekommen. Er war Leiter der politischen Polizei und erst am Morgen vor der Beerdigung war seine Beförderung zum Polizeirat bekannt gegeben worden). 

Es ist am Grabe gesungen worden.  Als der Mainzer Sozialdemokrat, der Schneider Joseph Leyendecker doch zu einer Rede ansetzte, versuchte Meyer ihn zu überschreien, was aber nicht gelang. Dann zogen die Polizisten ihre Säbel und prügelten mit der flachen Seite der Säbel auf die Trauergäste ein. Es gab mehr als 35 Verletzte, darunter Frauen und Kinder und der Parteiagitator und Wirt Emil Fleischmann. Der Schneider Heinrich Berthold war ins offene Grab gestoßen worden.

Berittener Polizist 1887 an der Hauptwache und um 1900 vor dem Bahnhof.  Die berittenen Polizisten hatten die fliehenden Beerdigungsgäste mit Säbelhieben auf den Friedhof zurückgetrieben.

 

Die Lage des Grabes: ( Augenzeugenbericht der Friedhofsverwaltung)

„... welches geradeaus vom Portal, links von dem nach den Grüften führenden Hauptwege, gleich hinter dem ersten Boskett [beschnittene Buschgruppe] etwa 100 Schritt von dem Hauptportale liegt.“

 

In Folge dieses Polizeieinsatzes ging ein Aufschrei des Entsetzens über diese "wahrhaft entsetzlichen Szenen" durch die deutsche und auch die europäische Presse.  Der Frankfurter Journalist F.A. Müller-Rentz (der Lauscher an der Wand am Haus Alten-Limpurg 1830-1903 und ansonsten eher als Gegner der Sozialisten bekannt) schrieb einen Artikel mit dem Titel: „Die Schmach Frankfurts“ (Demokratische Blätter, Berlin), der in einigen deutschen Blättern nachgedruckt wurde. Für diesen Artikel wurde er mit einer Beleidigungsklage bedacht. In Hillers Lokal wurde eine Meldestelle für Augenzeugenberichte eingerichtet und eine ganze Woche lang wurden Erlebnisprotokolle aufgenommen – die SPD (die damals allerdings noch nicht so hieß) schlachtete diesen Vorfall natürlich propagandistisch aus. 

Für Hillers Grabstein wurde nun Geld gesammelt, selbst aus den USA kam welches.

 

Der Polizeikommissar Meyer (geb. 03.Feb.1843 Kreis Teltow) war verantwortlich für den Hauptfriedhof, der in seinem Revier lag. Schon am 16.April 1879 (Meyer: „Stürmisches Begräbnis“) und am 10.Dez. 1883 (Begräbnis Döll) hatten Begräbnisse von Sozialdemokraten unter seiner Polizeiaufsicht stattgefunden. Nach Dölls Begräbnis, bei dem er von den Trauergästen ausgelacht worden war, erhielt er eine schriftliche Abmahnung („Missbilligung“), weil er nicht scharf genug durchgegriffen hatte. Er wurde am 01.August vom Dienst suspendiert und am 17.März 1886 wegen vorsätzlicher Körperverletzung im Amt zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Meyer eilte daraufhin nach Bad Ems, zu einer Kaiser-Audienz und wurde vom Kaiser begnadigt, erhielt sogar 700,- Mark Aufwandsentschädigung und dürfte wieder für die Frankfurter Polizei arbeiten (als Kommissar der Kriminalpolizei bearbeitete er 1892 dem Fall des Millionendiebstahls in der Rothschildbank). Auch die anderen verurteilten Polizisten wurden begnadigt. Der einzige, der ins Gefängnis kam, war Leyendecker, der bekam einen Monat, den er auch absaß.

 

Meyer am 15.Juli 1886 vor Gericht: : „ ich wusste, dass eine Verhaftung Leyendeckers nichts nutzen würde ... .Ich hatte alte Bekannte vor mir und wusste, was ich zu erwarten hatte. Die Leute, einer staatsfeindlichen Partei angehörend, hatten den festen Willen und den Vorsatz mir Widerstand zu leisten.“

Dem Polizeirat von Hake wurde vor Gericht  und in der Presse vorgeworfen, diese Affäre bewusst provoziert zu haben, um den kleinen Belagerungszustand für Frankfurt  beantragen zu können. (Hatte er Anfang Februar  getan, war abgelehnt worden).

Für die Frankfurter Polizeikräfte erging in der Folge des Friedhofskrawalls ein Tagesbefehl folgenden Inhalts:

"Eine wesentliche Aufgabe des königlichen Polizeipräsidiums und seiner Exekutiv-Beamten besteht darin, den berechtigten Interessen der Bürger- und Einwohnerschaft nützlich und förderlich zu sein. ... ." Jeder Polizist sei für seine Taten verantwortlich, außer - natürlich - wenn sie ihm befohlen worden seien.

 

Am 16.Dez. 1886 wurde der kleine Belagerungszustand über Frankfurt, Hanau, Höchst und den Obertaunuskreis verhängt. Die Parteilokal-Wirte Fleischmann (Wirtschaft in der Papageigasse 1) und Heinrich Prinz (1844-1909, Albusgasse, dann Heiligkreuzgasse 8, Großvater von Johanna Kirchner, Urgroßvater von Rudi Arndt) wurden ausgewiesen, (laut Polizei gab es 1886 zwölf SPD-Parteilokale in Ffm)

 

 

insgesamt 48 Sozialdemokraten mussten Frankfurt verlassen. Fleischmann ging nach Karlsruhe, Prinz nach Darmstadt. Beide kehrten erst nach Ende des Sozialistengesetztes zurück, solange führten ihre Frauen die Wirtschaften

 

Hiller hatte vor 1878 wohl in Höchst gewohnt. Im ersten Frankfurter Geheimbundprozess 1879/80 wurde er zu einer Woche Gefängnis verurteilt . Hiller war Ziseleur und erst im Mai 85 Wirt geworden. Am 14.Jan. 85 war H. im Zusammenhang mit der Ermordung des Polizeirates Rumpff für einen Tag verhaftet worden.

 

 

                                               

 

Bis zur nächsten großen sozialdemokratischen Beerdigung, bis zur „kleinen Friedhofsaffäresollten zwölf Jahre vergehen. Am Morgen des 22.Februar 1897 traf sich eine Trauergemeinde von ca. 1000, vornehmlich weiblichen, Trauergästen zur Beerdigung von Adolfine Trompeter (*1857), einer „wackeren Frau“ und Gemahlin eines sozialdemokratischen Funktionärs. Anders als andere Frauen der von der "Weihnachtsausweisung 1886" betroffenen Sozialdemokraten, hatte sie ihren Mann auf dessen Ausweisungs-Odyssee durch etliche Städte  und Länder begleitet, sie war deshalb in sozialdemokratischen Kreisen hoch angesehen. Aber wieder, wie schon bei Hillers Beerdigung, brach der anwesende Polizei-Kommissar (diesmal nicht mehr Meyer, sondern Kommissar von Dossow) die Beerdigung ab, nachdem zu einer Trauerrede angesetzt worden war. Der großen Menge von Leuten wurde aber diesmal genug Zeit gelassen, sich zu entfernen, so dass eine Widerholung der Vorfälle von 1885 ausblieb, obwohl von Dossow es durchaus auf eine Eskalation abgesehen zu haben schien.

.Dummerweise hatte zeitgleich die Bestattung des Mitglieds der Stadtverordneten-Versammlung, des Bankiers Phillipp Bonn, stattgefunden, so dass auch reihenweise Mitglieder der StVV auf dem Friedhof anwesend waren - unter anderen auch Leopold Sonnemann, Herausgeber der Frankfurter Zeitung, so dass der Vorfall auch diesmal wieder Wellen schlug. Kommissar v. Dossow erhielt vom Polizeipräsidenten eine "Missbilligung".

 

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