Alexander Ruhe: 1816 - das Jahr ohne Sommer. Februar 2016

Ein Artikel aus der Reihe: Frankfurter Zeitungs-Archäologie

 

1815. Napoleon war endlich besiegt worden und die Zeit des Krieges, der Not und der Soldaten schien vorbei zu sein. Zumindest die Soldaten aber war man erst einmal noch nicht los, alleine 190.000 Russen marschierten, wie schon 1813 auf dem Hinweg auch auf ihrem Weg nach Hause durch Frankfurt und als die endlich durch waren, kamen die Sachsen und die Preussen. Im Dezember 1815 waren alleine 300 preußische Armee-Schneider in Frankfurt stationiert. Der letzte und gleichzeitig der willkommenste aller durchziehenden Preussen, war deren Kommandant, der bei Waterloo siegreiche Marschall Blücher. Blücher verbrachte über Weihnachten und Sylvester 1815/16 gleich zwei Wochen in der Stadt und wurde hier von Festlichkeit zu Festlichkeit weitergereicht. Als aber auch Blücher und seine letzten Soldaten abgezogen waren, als im Frühjahr 1816 klar war, dass der deutsche Bundestag und mit ihm, hunderte von Diplomaten sich in Frankfurt niederlassen würden, konnte es ja nur noch aufwärts gehen, die schlechten Zeiten waren vorbei ! Dieser Optimismus war in Frankfurt weit verbreitet und sorgte dafür, dass sich die Immobilienpreise verdreifachten. 

Was aber damals niemand wusste (zumindest in unserer Welthemisphäre nicht); im April 1815, ein paar Wochen vor der Schlacht von Waterloo, war im heutigen Indonesien der Vulkan Tambora ausgebrochen und blies in den folgenden Monaten eine Staub- und Aschewolke um die ganze Nordhalbkugel - nicht gut !

Die Sonne verdunkelte sich und es fing an zu regnen, zu regnen und nochmal zu regnen. In Frankfurt, das durch die Hänge von Taunus, Spessart und Odenwald vor Regen sogar noch ganz gut geschützt ist, regnete es schier ununterbrochen. Es gab im Mai 1816 20 Regentage in Frankfurt, im Juni 15, im Juli 24, im August 19 und im September 17, insgesamt also 95 Sommer-Regentage (und damit lag Frankfurt noch weit unter dem Durchschnitt Mitteleuropas und auch weit unter den 134 Regentagen während des "Nassen Jahres" 1770). Es regnete aber so viel, dass mitten im Hochsommer, im Juli 1816 ein Hochwasser Frankfurt überflutete  und das - zum ersten mal seit 150 Jahren - in der Frankfurter Synagoge, nicht um Regen, sondern um dessen Ende, gebetet wurde. Anfang September waren die nahen Taunushänge schon weiß von Schnee und in diesem Jahr viel die Weinlese aus - da gab es einfach nichts zum Lesen. 

Frühzeitig hemmten schon ab dem 23.November Eisschollen die Mainschifffahrt, weshalb nicht genug Feuerholz in die Stadt gebracht werden konnte, so dass die Frankfurter auch noch frieren mussten.

Auch die restliche Ernte viel in diesem Jahr sehr dünn aus und so verdreifachte sich vom Frühjahr 1816 bis in den April 1817 der Preis für ein Sechspfund-Brot in Frankfurt auf 42 Kreuzer, und stieg bis zur Ernte sogar auf 48 Kreuzer - und das war mehr als ein Handwerksgeselle am Tag verdiente – falls der in der die Hungersnot begleitenden Wirtschaftskrise überhaupt noch Arbeit hatte -  und gleichzeitig war das Brot dabei so schlecht, dass man befürchten musste, davon krank zu werden. Wegen der überhandnehmenden Mutterkornvergiftungen, empfahl der Frankfurter Dr. Ronne dem Roggenbrot Buchweizen- und Bohnenmehl, sowie auch noch eine ordentliches Quentchen Pottasche beizumischen. Der Preis für ein Brötchen, der zuvor 1/2 Kreuzer betragen hatte, vervierfachte sich in dieser Zeit des Hungers sogar.

Ende des Jahres 1816 wurde unter dem Vorsitz des Bankiers Bethmann ein Kornverein zum Zwecke der Ausgabe verbilligten Brotes gegründet. Juden waren allerdings vom Empfang dieses Brotes explizit ausgeschlossen, trotzdem spendete der Bankier Rothschild eine größere Summe. Im April trafen dann die ersten Lieferungen des beschafften russischen Getreides ein. Aber immerhin konnte man in der wohlhabenden Stadt Frankfurt - meistens - überhaupt noch Brot kaufen, man hatte im großen Stil Getreide aus Russland kommen lassen und die Reichen unter den Frankfurtern legten zusammen und ließen ein Armenbrot zu 24 Kreuzern backen, das nur die Armen, die mit einem Ausweis des Frauenvereins ausgestattet waren, kaufen durften. Diese Armenbrot allerdings war, wie man in einer zeitgenössischen Frankfurter Chronik lesen kann, sehr schlecht und roch ekelerregend und selbst in der Zeitung konnte man lesen, dass man befürchten müsse, vom Genuss des Frankfurter Armenbrotes krank zu werden. Selbst Vollzahler aber bekamen nicht einfach so ein Brot, sondern mussten das Brot bei Ihrem Bäcker zwei Tage im Voraus bestellen.

Das Jahr 1816 war wohl tatsächlich ein Jahr, "dass so manchen mehr drückte als ein Kriegsjahr", wie man in einer Frankfurter Zeitung lesen konnte.

Aber wenigstens zu lesen gab es etwas. Im Not- und Hülfsbüchlein konnte man lesen wie man für wenig Geld nahrhafte Gerichte kocht, sparsam wirtschaftet und effektiv Kartoffeln pflanzt. Das Spargericht der Zeit war die Rumfordsuppe. Gerste oder Kartoffeln, die zusammen mit Erbsen über Stunden zu einem dicken Brei verkocht wurden, den man als besonders nährend ansah. Auch wie man aus Flechten und Moos noch ein leckeres Gericht zaubern konnte, wurde einem in diesem Druckwerk verraten. Da alleine das Büchlein aber schon soviel kostete, wie drei Pfund Brot, wurden die Wohlhabenden Frankfurts angehalten es zu kaufen und an die Armen zu verteilen, es ihnen notfalls auch vorzulesen.

Und wenn der Bankier Bethmann auch nicht den Hunger aller Armen Frankfurts stillen wollte, den Kulturhunger stillte er schon - im verregneten Sommer 1816 zog Ariadne auf ihrem Panther in Frankfurt ein und wurde sofort zum Popstar.

Dass die ganze Wetterunbill auf einen Vulkanausbruch zurückzuführen war, wussten die Frankfurter damals natürlich noch nicht und die Frankfurter Ober-Postamts-Zeitung mutmaßte , dass der Riesen-Komet von 1811, den man monatelang am Nachthimmel hatte beobachten  können, am schlechten Wetter schuld sei. Im März 1817 mutmaßte man sogar, der Altkönig im Taunus könne wegen des "Sausens und Brausens", das Bauern in seinem Inneren vernahmen, kurz vor einem Vulkanausbruch stehen, der aber dann zum Glück ausblieb.

Im April 1817 traff dann endlich der erste Transport von russischem Getreide in Frankfurt ein, direkt gefolgt von einem Hochwasser, das die Keller volllaufen ließ und die Kaufleute zwang ihre am Main gelegenen Messestände zur Ostermesse fluchtartig zu evakuieren.

Das Regenwetter zog sich bis ins Jahr 1817 hinein und als es dann in Juni endlich wieder mal schön wurde und sogar die Sonne schien, zogen tausende Frankfurter vor die Tore der Stadt, um einen Ballonaufstieg zu beobachten. Als die Frankfurter dann, am ersten lauen Sommerabend seit Ewigkeiten (auch die Sommer 1813-14 und 15 waren eher kühl gewesen), spät abends durchs Tor zurück in die Stadt wollten, verlangte man dort von ihnen eine Durchgangsgebühr, einen Sperrbatzen, was zu einer Entladung der angespannten Stimmung und zu einem ersten Frankfurter Sperrbatzen-Krawall führte.

Überhaupt war die Stimmung angespannt. Zwar entlud sich diese Stimmung in Frankfurt nicht in offenem Krawall, wie zum Beispiel in Mainz oder auch überall in Frankreich und Italien. Aber immer offener richtete sich diese Missstimmung in Frankfurt gegen die Juden. Im Oktober 1816 waren den Juden ihre erst 1812 gewährten Bürgerrechte wieder aberkannt worden und als im Januar 1817 der Berliner Judenimitator Wurm mit seinen antisemitischen Stückchen hier gastierte, sorgte er für Furore. Auch im Intelligenzblatt, in dem die Familienstands-Anzeigen bisher keine Religionsangabe beinhaltete, wurden die jüdischen Frankfurter jetzt wieder getrennt aufgeführt.

Auf einer 1817 zum 300. Jubiläum der Reformation in Frankfurt herausgegebenen Medaille konnte mann dann auch lesen: "Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller", Juden waren da wohl nicht mehr mit einbegriffen.

Im Juni 1817 wurde die Versorgungslage immer prekärer, selbst durch massive Beschlagnahmungen von Getreide bei den Bauern Bornheims, Nieder- und Oberrads konnte man nur feststellen, dass auch die nichts mehr hatten. Aus den Niederlanden wurden schon seit langem zwei Schiffe mit russischem Getreide erwartet, aber diese hingen wegen des Rheinhochwassers lange in Köln fest und kamen nicht weiter. Erst Anfang Juli, eine Woche vor Einholung der ersten Ernte, kamen die Korn-Schiffe in Frankfurt an.

Als die sehnsüchtig erwarteten Ernten 1817  und 1818 die in sie gesetzten Erwartungen auch nicht erfüllt hatten und der Brotpreis nicht auf das alte Niveau fiel, Frankfurt musste weiterhin ausländisches Getreide kaufen und aus den Niederlanden heranschaffen, wurde die Stimmung noch angespannter und in der Zeit der Ernte 1819 kam es im ganzen an Frankfurt angrenzenden Frankenland zu wochenlangen Ausschreitungen gegen die Juden und ihre Geschäfte, den "Hep-Hep"-Unruhen, die im August 1819 auch auf Frankfurt übergriffen und die hunderte von Frankfurter Juden aus der Stadt fliehen ließ. Geschürt wurden diese pogromartigen Unruhen durch die Kaufleute in englischen und französischen Waren, die die jüdischen Kaufleute wieder aus diesem lukrativen Geschäft herausdrängen wollten, wie man damals lesen konnte.

Erst als der in Frankfurt tagende Bundestag drohte, Besatzungstruppen aus der Festung Mainz nach Frankfurt zu ziehen, wurde die Stadt der Lage Herr .

 Man griff jetzt nämlich wieder mit aller Härte des Gesetzes durch - und zwar mit der Härte der Carolina, der peinlichen Halsgerichtsordnung des 16.Jahrhunderts ! Schon Ende 1816 hatte man das Spießrutenlaufen als Soldatenstrafe wieder eingeführt und als im August 1817 dem Frankfurter Gottlieb Moog nach all den Widrigkeiten der vergangenen Jahre die Hypothek gekündigt wurde und er mit seiner Familie in die Obdachlosigkeit gehen sollte, entschied er sich, seine Frau, die fünf Kinder und auch sich selbst mit einem Rasiermesser zu ermorden. Am Leichnam des Selbstmörders wurde jetzt ein Exempel statuiert: " so spukt noch in Frankfurt das Gespenst der barbarischen Carolina und schüttelt neuerdings seine blutigen Haare. Gewöhnt nur das Volk wieder daran und die Barbarei des Mittelalters, der Judenmord und Ketzerbrand, nebst den Hexentänzen werden dann bald, unter dem Geheul der Furien in unsere … freien Städte zurückkehren" wie man in einem der zahlreichen entsetzten Zeitungsartikel, die deutschlandweit erschienen waren, lesen konnte. Man hatte nämlich Moogs Leiche in eine feuchte Kuhhaut eingenäht, ihn zum - seit bald 20 Jahren nicht mehr genutzten - Richtplatz geschleift, ihm dort den Kopf abschlagen und den Torso auf das Rad geflochten und so den Aßvögeln zur Schau gestellt

 

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